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So vergiftet sind Bayerns Bäche

München Stadt und Land

Wasserproben nach Starkregenereignissen im Raum München liefern alarmierende Ergebnisse. Der Bayerische Rundfunk, Abendzeitung und andere Medien berichten über unsere Pestizid-Studie.

 

Gefährliche Pflanzengifte, Düngemittel und Substanzen, die seit Jahrzehnten verboten sind: Die finalen Ergebnisse der Wasserproben des LBV München liegen vor. Sie wurden in den Jahren 2023 und 2024 im Raum München in kleinen Fließgewässern durchgeführt und geben Einblicke in einen kaum erforschten Missstand. Denn während Starkregenereignissen, die im Rahmen des Klimawandels zunehmen, werden aus Wiesen und Feldern deutlich mehr Herbizide, Fungizide, Insektizide sowie Düngemittel in die angrenzenden Oberflächengewässer gespült als bei durchschnittlicher Witterung. „Der Belastungszustand ist bei Starkregen eklatant höher und gesetzliche Grenzwerte werden teilweise um ein Vielfaches überschritten“, erklärt Projektleiterin Raphaela Karl. „Viele der von uns nachgewiesenen Substanzen wirken sich in dieser Menge verheerend auf die Wasserqualität und Artenvielfalt aus. Und: Sie können schädlich für die menschliche Gesundheit werden.“

Zur Berichterstattung vom Bayerischen Rundfunk 

 

Ein kleiner Bach schlängelt sich beschaulich durch das Erdinger Land, zwischen Acker- und Wiesenflächen glitzert das Wasser. Auf den ersten Blick ein ökologisch intakter Wasserlauf, doch der Schein trügt. Über zwei Jahre hinweg hat der LBV hier und an weiteren Stellen im Raum München Wasserproben mithilfe von Probeautomaten genommen. Die Untersuchungen fanden zur Hauptanwendungsphase von Pestiziden zwischen April und Juli statt, vornehmlich während Starkregenereignissen, aber auch bei normaler Witterung. Alle Proben sowie Messstellen wurden chemisch und biologisch analysiert. Ziel war es herauszufinden, wie sich Starkregen und die dadurch verursachten Einträge aus angrenzenden, vorwiegend landwirtschaftlichen genutzten Flächen auf die Wasserqualität und besonders die biologische Vielfalt auswirken. 

Nun liegen die Ergebnisse vor, und sie übertreffen alle Erwartungen – im negativen Sinne. Bei Starkregenereignissen konnten bis zu viermal mehr chemische Substanzen nachgewiesen werden als bei durchschnittlichen Witterungsbedingungen: Insgesamt 63 verschiedene Wirk- und Abbaustoffe aus dem Pflanzenschutz und der Schädlingsbekämpfung, darunter 16, die in diesem Kontext seit teilweise fast 40 Jahren verboten sind. Dabei kamen an einzelnen Messtellen Pestizid-Cocktails von bis zu 17 Wirkstoffen gleichzeitig vor. Die gesetzlich geltenden Höchstkonzentrationen wurden zum Teil deutlich überschritten. Festgestellt werden konnten unter anderem: 

  • Carbaryl – trägt zum Bienensterben bei, seit 1986 in BRD/Deutschland verboten
  • Atrazin – gilt als potenziell krebserregend
  • Neonicotinoid Acetamiprid – lähmt oder tötet das Nervensystem vieler Insektenarten und kann auf Bestäuber wie z.B. Wildbienen übertragen werden
  • S-Metolachlor – gilt als potenziell krebserregend

„Keine einzige der Messstellen befindet sich gemäß Oberflächengewässerverordnung in einem ökologisch guten Zustand, die Biodiversität ist eindeutig gefährdet“, erklärt Ingenieurökologin Raphaela Karl. „Entlang strukturreicher kleiner Fließgewässer leben viele, teilweise besonders geschützte Tierarten. Ein durch Starkregen verursachter Anstieg von Nährstoffen und chemischen Substanzen bedroht sie in ihrer Existenz.“ Denn Wirkstoffe aus Pflanzenschutz- und Düngemitteln beeinflussen nicht nur Schädlinge, sondern auch eine Vielzahl anderer Lebewesen. Ganze Nahrungsketten und Ökosysteme werden dadurch destabilisiert. So konnten an sämtlichen Messstellen kaum noch Arten festgestellt werden, die empfindlich auf derartige Einträge reagieren.

Aber nicht nur für Flora und Fauna sind die nachgewiesenen Stoffe schädlich. Verschiedene Pestizide gelten als potenziell krebserregend und gefährden die menschliche Gesundheit. „Woher die Substanzen stammen, lässt sich nicht eindeutig nachweisen“, so Raphaela Karl. „Da die untersuchten Kleingewässer entlang bewirtschafteter Flächen liegen, sind Einträge aus dem konventionellen Landbau am wahrscheinlichsten. Aber auch Pestizide aus dem Einsatz in Privatgärten oder aus Bioziden, die beispielsweise für den Zeckenschutz von Haustieren verwendet werden, kommen als zusätzliche Ursachen in Frage.“ 

Der LBV München geht davon aus, dass weitere Messstellen im Raum München und in ganz Bayern nach Starkregen ähnlich schlechte Ergebnisse liefern. „Kleine Fließgewässer werden im Rahmen des behördlichen Gewässermonitorings zu selten beprobt, besonders während der Hautpanwendungsphase von Pflanzenschutzmitteln sowie bei Starkregenereignissen. Dabei machen sie mit 92.000 Kilometern Länge rund 92 % des bayerischen Fließgewässernetzes aus und sind Pflanzenschutzmitteleinträgen durch ihre Nähe zu landwirtschaftlich genutzten Flächen besonders stark ausgesetzt“, erläutert Heinz Sedlmeier, Geschäftsführer der Münchner LBV-Kreisgruppe. „Letztlich geht es nicht nur um den Erhalt der biologischen Vielfalt, sondern auch um einen funktionierenden Grund- und Trinkwasserschutz,“ ergänzt Raphaela Karl. „Bürgerinnen und Bürger haben ein Recht darauf zu erfahren, welche toxischen Stoffe in welchen Mengen ausgebracht werden und was das für ihre Umwelt und Gesundheit bedeutet. Vergiftete Bäche nach Starkregen schädigen Mensch und Natur. Hier muss gemäß den gesetzlich geltenden Vorgaben dringend Abhilfe geschaffen werden.“